Auszug aus "Schritte zur ökologischen Marktwirtschaft"
von Gerhard Maier-Rigaud
Ordnungspolitische Aspekte der EG-Öko-Audit-Verordnung
In der Umweltpolitik gerät das Bundesministerium für Wirtschaft
zuweilen in eine argumentative Situation, die oberflächliche Betrachter
als Ausdruck einer vermeintlich rollengerechten Bremserfunktion interpretieren.
Am Beispiel des inzwischen verabschiedeten Entwurfs einer Öko-Audit-Verordnung
der Europäischen Kommission soll gezeigt werden, daß die ablehnende
Haltung des Ministeriums nicht auf einem platten Ökonomismus, sondern
auf einer sorgfältigen Analyse der Wirkungsweise und Wirkungsgrenzen
dieses umweltpolitischen Instruments beruhte.
Vorab zu betonen ist, daß im Jahreswirtschaftsbericht des letzten
Jahres (1992) die Durchführung von Öko-Audits ausdrücklich
begrüßt worden ist. Besonders hervorgehoben wurde beispielsweise
die diesbezügliche Initiative der Internationalen Handelskammer. An
dieser Auffassung hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Damit
sollte klar sein, daß sich der Generalvorbehalt des Ministeriums
nicht gegen Öko-Audits als Managementinstrument richtet, sondern allein
gegen den Entwurf der Brüsseler Verordnung. Und weil diese Kritik
nicht an Details der Verordnung ansetzt, sondern die Logik und den theoretischen
Hintergrund der Verordnung insgesamt betrifft, ist es notwendig, zunächst
auf einige grundsätzliche Aspekte der Umweltpolitik einzugehen.
Systemloser Interventionismus
Der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung hat vor Jahren den schönen Begriff von der "Faszination
des Unmittelbaren" geprägt. Dieser Faszination gegebnüber sind
Unternehmer, Ingenieure, Ökologen und selbstverständlich auch
Ökonomen im allgemeinen recht aufgeschlossen. Was offensichtlich zählt,
ist die sichtbare und unmittelbare Tat, die zur Schonung der Umweltbeiträgt.
Alles ökologische Reden hilft nicht weiter, wenn es nicht zur Tat,
d.h. beispielsweise zur konkreten Investition wird. Selbstverständlich
kann sich die ökologische Anpassung der Wirtschaft nur durch die Wirtschaft
und nicht neben oder über ihr vollziehen.
Wegen dieser Faszination des Unmittelbaren hat es eine marktwirtschaftliche
Politik der Rahmengestaltung nicht nur in der Umweltpolitik so schwer.
Viel einsichtiger und ansprechender ist der kurze Weg von der politischen
Entscheidung zur ökologischen Aktion. Was ist schon beispielsweise
die Änderung eines Preises für ein knappes Umweltgut im Vergleich
zur Festlegung eines Grenzwertes? Und wegen der anerkannten Komplexität
der ökologischen Gefährdung scheint es selbstverständlich
notwendig zu sein, das Problem von vielen Seiten gleichzeitig anzugehen.
Die Umweltpolitik entwickelt sich deshalb immer mehr in die Breite und
Tiefe. Sie schreitet im Generellen wie im Detail voran und versucht so,
an allen kologischen Fronten Erfolge zu erzielen und an allen relevant
scheinenden Schrauben zu drehen.
Diese Strategie wird nicht nur im Hinblick auf die einzelnen Umweltmedien,
also in bezug auf die Luftreinhaltepolitik, die Gewässerpolitik, die
Abfallwirtschaftspolitik usw., sondern auch in bezug auf den ganzen Katalog
der denkbaren Instrumente verfolgt. Da geht es dann nicht nur um Steuern,
Sonderabgaben, Gebühren oder um Zertifikate, es geht auch um Technische
Anleitungen, Gebote, Verbote und Genehmigungsverfahren, um Subventionen,
Beihilfen und steuerliche Vergünstigungen. Und es geht um moral suasion,
um freiwillige Vereinbarungen und Kooperationen. Und neuerdings geht es
eben auch um Öko-Audits, dem jüngsten Kind der umweltpolitischen
Phantasie der Generaldirektion XI der Brüsseler Kommission.
Im Prinzip ist die Vielfalt der Instrumente nicht zu beklagen. Es entspricht
vielmehr einem alten wirtschaftspolitischen Ideal, wenn es gelingt, für
jedes Problem ein spezifisches Instrument einzusetzen. Kritisiert werden
muß aber, daß die Umweltpolitik mit den denkbaren instrumentellen
Möglichkeiten so umgeht, als handle es sich um das Angebot eines Gemischtwarenladens,
auf das man nach Belieben und Opportunität zugreifen kann.
Auch in der Wirtschaftspolitik gab es Zeiten, in denen die Instrumentenvielfalt
als Gemischtwarenladen verstanden wurde. In den zwanziger Jahren wurde
dafür der Begriff des systemlosen Interventionismus geprägt.
Aber wir haben heute in der Wirtschaftspolitik ein Leitbild zur Verfügung,
das es uns ermöglicht, den gröbsten wirtschaftspolitischen Unsinn
von vornherein zu erkennen und zu vermeiden. Es gibt eine ökonomische
Theorie und darauf aufbauend eine Theorie der Wirtschaftspolitik.
In der Umweltpolitik ist das bisher kaum in Ansätzen gelungen.
Es gibt zwar einige Prinzipien, aber es gibt immer noch keine Theorie der
Umweltpolitik. Deshalb fehlt der Umweltpolitik ein Leitbild und damit auch
ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was umweltpolitisch richtig
und was umweltpolitischer Nonsens ist. Für die Umweltpolitik ergeben
sich daraus große Freiheitsgrade, aber a priori auch große
Effizienzverluste. Und das heißt nicht nur, daß die Umweltpolitik
ihre Ziele mit vergleichsweise hohen Kosten erreicht, es kann auch heißen,
daß sie ihre Ziele verfehlt.
Strukturwandel via Preisänderungen
Eine Theorie der Umweltpolitik muß auf Einsichten darüber
beruhen, wie die wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt werden kann,
damit der Wirtschaftsprozeß nicht seine eigene ökologische Basis
zerstört. Trivialerweise setzt dies Vorstellungen darüber voraus,
wie und unter welchen Bedingungen wirtschaftliche Entwicklung überhaupt
stattfindet. Nur dann kann einigermaßen verläßlich gesagt
werden, wo, mit welchen Instrumenten und mit welcher Intensität Umweltpolitik
betrieben werden muß. Es ist hier zwar nicht möglich, auf das
makroökonomische Bedingungsgefüge und die mikroökonomischen
Triebkräfte wirtschaftlicher Entwicklung einzugehen. Aber drei Aspekte
des insgesamt komplexen Themas sind hervorzuheben, nämlich das Eigeninteresse,
der Wettbewerb und die Preise.
Eine rationale Umweltpolitik muß mit diesen Elementen des Marktsystems
nicht nur rechnen, sondern sie auch für ihre Ziele einsetzen. Das
ist deshalb besonders wichtig, weil es nicht nur darum geht, diese oder
jene Struktur zu ändern, sondern die wirtschaftliche Entwicklung in
Richtung Nachhaltigkeit zu treiben. Das aber ist nur möglich, wenn
das Eigeninteresse via Preise unter dem Regime des Wettbewerbs in den Dienst
der Ökologie gestellt wird.
Schon aus dieser Überlegung folgt die Änderung der relativen
Preise als notwendige Bedingung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung.
Die Preise aktivieren das Eigeninteresse. Deshalb muß die Umweltpolitik
entweder durch Steuern für andere Preise sorgen oder Mengenvorgaben
machen, die bei einem geeigneten institutionellen Arrangement die entsprechenden
Knappheitspreise hervorbringen.
Eine Umweltpolitik, die diese notwendige Bedingung gering achtet, muß
das Ordnungsrecht und den bürokratischen Kontrollapparat immer weiter
verschärfen, weil sich ihre Anforderungen immer weiter von dem durch
die herrschenden Preise und Kosten bestimmten einzelwirtschaftlichen Interesse
entfernen. Die Rücksicht auf vehement vertretene einzelwirtschaftliche
Interessen an konstanten relativen Preisen bedroht somit nicht nur die
Wirtschaftsordnung, sie erhöht auch unnötigerweise die gesamtwirtschaftlichen
Kosten des Umweltschutzes.
Utopie eines freiwilligen Umweltschutzes
Aus den genannten Aspekten der wirtschaftlichen Entwicklung folgt auch,
daß freiwilliger Umweltschutz systemfremd und utopisch ist. Die Effizienz
des marktwirtschaftlichen Systems gründet auf der Herrschaft des Wettbewerbs.
Er sorgt dafür, daß suboptimale Lösungen ausgeschieden
werden. Dabei unterscheidet der wettbewerbliche Selektionsprozeß
nicht danach, ob Aufwendungen, denen kein angemessener Ertrag gegenübersteht,
etwa mit dem Versagen des Managements zusammenhängen oder ob sie in
der Absicht erfolgt sind, einem guten, sozialen oder ökologischen
Zweck zu dienen. Bei funktionierendem Wettbewerb gibt es deshalb für
einzelne Unternehmen keinen Spielraum für freiwilligen Umweltschutz.
Diejenigen, die auf freiwillige Maßnahmen der Unternehmen setzen,
müssen deshalb zugleich unterstellen, daß der Wettbewerb nicht
hinreichend funktioniert. Anders gewendet, das Versagen der Wettbewerbspolitik
und die Existenz vermachteter Märkte sind die Voraussetzung, auf denen
die Vision vom freiwilligen Umweltschutz beruht. Die Vorstellung, die Wirtschaft
könne sich aus eigenem Antrieb und eigener Einsicht von der Logik
des Wettbewerbsystems befreien und den Prozeß der ökologischen
Zerstörung stoppen, kann als ökologische Münchhausen-Strategie
bezeichnet werden. Wenn sie möglich wäre, dann und nur dann könnte
man auch die Wirtschaft für die ökologischen Folgen ihres Handelns
verantwortlich machen.
So aber muß es bei der nicht delegierbaren Verantwortung staatlicher
Umweltpolitik bleiben. Und deshalb müßten die Befürworter
einer effizienten Umweltpolitik zu den entschiedendsten Gegnern der Vorstellung
vom freiwilligen Umweltschutz gehören. Sie müßten vor allem
betonen, daß die Durchsetzung der Ziele des Umweltschutzes nicht
davon abhängig gemacht werden darf, welchen Spielraum das Wettbewerbssystem
für den freiwilligen Umweltschutz läßt und davon, wie einsichtig
einzelne Unternehmen sind.
Ebenso muß sich die Wirtschaftspolitik dagegen wehren, daß
die Unternehmen unter einen moralischen Druck gesetzt werden, Kosten einzugehen,
die vom Markt nicht honoriert werden. Es ist, gelinde gesagt, inkonsistent,
das Wettbewerbssystem auf der einen Seite zu loben und zu verteidigen,
aber auf der anderen Seite darauf zu setzen, daß der Wettbewerb nicht
funktioniert und es deshalb bei einzelnen Unternehmen Spielraum für
freiwilligen Umweltschutz gibt.
Senkung der Transaktionskosten?
Gegen die strikt aus der Wettbewerbslogik folgende Argumentation könnte
vorgebracht werden, daß es unter dem Regime der gegenwärtigen
Preise ein großes Potential an einzelwirtschaftlich rentablen Maßnahmen
zur Schonung der Umwelt gibt. Ein gewisser öffentlicher Druck zur
Ausschöpfung wenigstens dieses Potentials sei daher ordnungspolitisch
vertretbar und ökologisch notwendig. Tatsächlich gibt es zahlreiche
Beispiele dafür, daß ein ökologisch fortschrittliches Produktionsverfahren
und Produktdesign auch den Ertrag eines Unternehmens verbessern kann. Alle
diese Einzelbeispiele können allerdings keine Antwort darauf geben,
was eine so angelegte umweltpolitische Strategie wirklich bedeutet.
Der wirtschaftstheoretische Schlüsselbegriff zur Erklärung
brachliegender Kostensenkungspotentiale im Wettbewerb sind die Transaktionskosten.
Damit sind beispielsweise Informations- und Suchkosten zur Entdeckung von
neuen wirtschaftlichen Lösungen gemeint. Damit soche Kosten überhaupt
eingegangen werden, muß es eine bestimmte Anfangsvermutung über
den potentiellen wirtschaftlichen Erfolg geben. Dieses ökonomische
Gespür kann weder verordnet noch durch öffentlichen Druck hervorgebracht
werden.
Der "freiwillige Zwang" beispielsweise einer Öko-Audit-Verordnung
kann allerdings dazu fürhen, daß Transaktionskosten etwa in
Form des Aufbaus eine ökologischen Managementsystems unabhängig
von einer Anfangsvermutung eingegangen werden. die dann noch verbleibenden
Transaktionskosten mögen vergleichsweise niedrig sein, so daß
es lohnend erscheint, einigen vermuteten Kostensenkungsmöglichkeiten
konkret nachzugehen.
Die Wirksamkeit des "freiwilligen" Öko-Audits beruht also abstrakt
gesprochen auf einer Umwandlung eines Teils der latenten Transaktionskosten
in effektive Fixkosten. Damit wird selbstverständlich die Entscheidungssituation
des Unternehmens verändert. Ökonomisch bedeutet das eine Optimierung
im Hinblick auf die herrschenden Preisstrukturen unter Einschluß
fixer, d.h. betriebswirtschaftlich nicht mehr disponibler Transaktionskosten.
Umweltpolitisch handelt es sich hier um einen reinen Einmaleffekt. Sobald
die Anpassung an die neuen Transaktionskosten erfolgt ist, kann sich in
Richtung Umweltschutz nichts mehr bewegen. Das Instrument ist ausgereizt.
Es kommt erst wieder zum Tragen, wenn die Preissignale neu gestellt sind.
Statischer Charakter der Öko-Audits
Gemessen an der umweltpolitischen Zielsetzung, nämlich einen langfristigen
Prozeß in Richtung Nachhaltigkeit auszulösen und in Gang zu
halten, ist die mit dem Öko-Audit anvisierte Optimierung unter den
gegebenen Verhältnissen geradezu kontraproduktiv. Der grundlegend
statische Charakter dieser Optimierungsvorstellung wird besonders deutlich,
wenn man sie mit dem Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung von
Marktsystemen vergleicht.
Die wirtschaftliche Entwicklung vollzieht sich nicht dadurch, daß
alle Unternehmen auf einen von einzelnen vorgezeichneten Entwicklungsstand
gebracht werden. Das wäre der Weg in die Unterschiedslosigkeit und
Stationärität. Wirtschaftliche Entwicklung ist vielmehr das Ergebnis
von ungleichgewichtigen Situationen. Konstitutiv ist dafür das Hervortreten
von dynamischen Unternehmern, die Vorsprungsrenten realisieren und den
Prozeß der "schöpferischen Zerstörung" von überkommenen
Strukturen durchsetzen. Die "statischen Wirte" spielen dabei eine vollständig
passive Rolle. Für die Umweltpolitik folgt daraus gerade nicht, die
Nachzügler durch Geld und gutes Zureden zu einem Aufholprozeß
zu bewegen oder ihnen mit Öko-Audits auf die Sprünge zu helfen.
Ziel der Umweltpolitik muß vielmehr sein, ein hohes Potential von
Vorsprungsrenten ständig aufrechtzuerhalten, um zukunftweisende Lösungen
zu generieren. Und das einzige dafür taugliche Instrument sind steigende
Preise für knappe Umweltgüter. Dadurch steigen auch die Opportunitätskosten
immer wieder bis zu dem Punkt, an dem sie von den im Wettbewerb stehenden
Unternehmen nicht mehr ignoriert werden können. Das ist die der marktwirtschaftlichen
Entwicklung adäquate Strategie.
Vorindustrielle Steuerungsmuster
Nicht erst die umweltpolitische Umsetzung, sondern bereits die Rezeption
dieses Musters wirtschaftlicher Entwicklung stößt auf große
Hindernisse oder sogar auf blankes Unverständnis. Die Menschen sind
im allgemeinen darauf fixiert und konditioniert, die Welt aus ihrer unmittelbaren
Erfahrung heraus zu interpretieren. Daher wird die sozio-ökonomische
Evolution individualistisch oder mikroökonomisch wahrgenommen und
erklärt. Bei dieser Betrachtungsweise steht gewissermaßen der
gute Mensch, geleitet von ethischen, gesellschaftlich akzeptierten Normen,
im Mittelpunkt. Konsequenterweise werden auch Umweltprobleme im wesentlichen
als unmittelbare Folge eines falschen Bewußtseins verstanden und
deren Lösung ursachenadäquat nur in einer Änderung des Bewußtseins
gesehen.
Vor diesem paradigmatischen Hintergrund kann die oft gegebene Antwort
auf die Frage nach dem ökologischen Umbau der Industriegesellschaft
nicht überraschen: Wir brauchen einen umweltbewußten Menschen,
einen, der sein Verhalten am Ziel der Nachhaltigkeit des globalen Wirtschaftens
ausrichtet. Der Weg dazu ist die Edukation nach umweltethischen Leitbildern,
und das Mittel dazu ist gesellschaftlicher Druck. Die Basis dieser Sichtweise
sind archaische Vorstellungen von der Organisation der Gesellschaft, die
aus den Verhältnissen in einer Großfamilie stammen.
Doch was in der Großfamilie leidlich funktioniert, nämlich
die Konditionierung der einzelnen Mitglieder auf soziales Verhalten, versagt
in der "Großen Gesellschaft" in einer Welt anonymer Märkte unter
dem Regime des globalen Wettbewerbs und dem Paradigma der "invisible hand"
sowie des dem Gesamtwohl dienenden Eigennutzes. Es ist deshalb vorwissenschaftliche
und naiv, die Steuerungsmuster einer Großfamilie für die Bewältigung
der globalen ökologischen Herausforderung einsetzen zu wollen.
Was kann es unter den Bedingungen der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft
bedeuten, wenn der Umweltminister in Tageszeitungen Anzeigen schaltet und
in Fernsehspots verkündet, daß wir die Konsequenzen aus Rio
ziehen sollen? Was kann es bewirken, wenn die Umweltpolitik den Charme
des "Blauen Engels" einsetzt und mit Hilfe von "Öko-Labels" umweltpolitisches
Wohlverhalten auszeichnet? Und was mag sich die Brüsseler Administration
davon versprechen, wenn sie Umweltzeichen für einzelne Produktionsstandorte
vergibt? Steht nicht hinter all diesen Aktivitäten die Vorstellung
von
einem Staat, der durch Lob und Tadel mehr oder weniger intelligent
versucht, seinen Kindern das ökologisch richtige Verhalten zu lehren?
Für die Ökonomie war es zumindest zeitweise klar, daß
eine Volkswirtschaft andere Funktionsbedingungen hat als eine "Robinson-Wirtschaft"
und deshalb auch nicht nach dem Schema des betriebswirtschaftlichen Managements
gelenkt werden kann. Auch der Rechtsstaat hat schon lange erkannt, daß
eine Gesellschaft nicht wie eine Großfamilie funktioniert. Deshalb
ist das Recht in Gesetze gegossen worden. Wann erkennt die Umweltpolitik,
daß die ökologische Stabilität der Erde nicht mit der Methode
des guten Zuredens erhalten werden kann?
Politik in der Grauzone
Wirtschaft und Wirtschaftspolitik könnten sich angesichts der Versuche,
Umweltpolitik mit "moral suasion6#171 zu betreiben und freiwillig Leistungen
einzufordern, gelassen zurücklehnen. Man könnte sich auf den
Standpunkt stellen, daß die Umweltpolitik fürher oder später
begreifen werden, wie wenig das Reden über Freiwilligkeit nützt.
Das gilt auch für eine Verordnung der EG über ein Öko-Audit-System.
Was soll also eine Opposition gegenüber einem Vorhaben, das niemanden
zum Handeln zwingt? Solange die Freiwilligkeit der Teilnahme an diesem
System sichergestellt ist, so das Argument, kann es auch keinen Schaden
anrichten.
Diese Auffassung übersieht, daß es sehr wohl wirtschafts-
und ordnungspolitisch von Interesse ist, wenn die EG-Kommission ein umweltpolitisches
Instrument entwickelt und in einer Verordnung implementieren will. Schließlich
ist auch die Kommission nicht so arbeitswütig, daß sie ein Konzept
entwickelt, dessen faktische Unwirksamkeit sie von vornherein hinzunehmen
bereit ist. In der Begründung zum Verordnungsentwurf wird deshalb
auch ganz unverhohlen gesagt, wie die Teilnahme am Öko-Audit forciert
werden soll.
Es geht um die Durchsetzung eines "neuen Bewußtseins" das in den
einzelnen Mitgliedstaaten noch sehr unterschiedlich entwickelt sei. Die
Kommission stellt sich vor, durch ihr Konzept die "Unternehmen zur Verantwortung
zu erziehen". Wörtlich heißt es in der Begründung: "Als
Gegenleistung für die Einhaltung der Anforderungen an die Beteiligung
am Öko-Audit-System durch die Unternehmen bietet dieses System den
beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, ihr Engagement zur Aufbesserung
ihres öffentlichen Image durch ein Gütezeichen zu nutzen. Ferner
beinhaltet es spezielle Unterstützungsmaßnahmen für kleine
und mittlere Unternehmen." Und damit jeder sehen kann, welche Unternehmen
das richtige Bewußtsein haben, erstellt und veröffentlicht die
Kommission eine Liste der am Öko-Audit teilnehmenden Unternehmensstandorte.
Die erzieherische Rolle, welche sich die Kommission hier anmaßt und
mit einer "moralischen Verpflichtung zum Fortschritt" implizit unterlegt,
läuft darauf hinaus, den öffentlichen Druck zu einem Instrument
der ökologischen Investitionslenkung zu machen. Hinzu kommt, daß
mit den in der Verordnung vorgesehenen externen Prüfern eine unternehmensfremde
Instanz zum öffentlichen Schiedsrichter über ökologisches
Wohlverhalten des Managements erhoben wird. Das ist mehr als betriebliche
Mitbestimmung, weil diese Schiedsrichter niemandem verantwortlich sind
und die Folgen der von ihnen vorgeschlagenen Managemententscheidungen von
anderen getragen werden müssen. Tatsächlich wird hier ein Grundprinzip
der Marktwirtschaft eklatant verletzt, nämlich der Zusammenhang von
Kompetenz und Haftung.
Auf einen weiteren gravierenden ordnungspolitischen Aspekt ist hinzuweisen.
Mit den externen Prüfern und den - noch aufzustellenden - Normen für
ökologisches Wohlverhalten des Managements wird ein Entscheidungskriterium
etabliert, das neben das ökonomische Steuerungskonzept Preis und Wettbewerb
tritt. Es ist einleuchtend, daß ein solches duales Lenkungssystem
zu Friktionen und Konflikten führt, die letztlich mit ökonomischer
und ökologischer Effizienz bezahlt werden müssen.
Insgesamt ist festzuhalten, daß sich die Umweltpolitik hier eines
Instruments bemächtigt, das, wenn es freiwillig wäre, umweltpolitisch
wenig helfen könnte. Und wenn es wirkt, weil die Freiwilligkeit faktisch
nicht besteht, ist es rechtsstaatlich und gesamtpolitisch nicht vertretbar.
Ein Rechtsstaat sollte sich auf rechtsstaatlich einwandfreie Instrumente
stützen und sich nicht in die Grauzone einer Politik des erhobenen
moralischen Zeigefingers begeben.
Weg ins ordnungspolitische Abseits
Bei der Beurteilung des Ansatzes der EG-Kommission darf man sich von
der verkündeten Freiwilligkeit nicht täuschen lassen. Der Schritt
von der heute schon bloß formalen Freiwilligkeit der Teilnahme zum
Pflicht-Audit ist klar vorgezeichnet. Dafür sprechen folgende Gründe:
Erstens hegt die Kommission selbst Zweifel an der Wirksamkeit ihres
Vorschlags. Die ursprüngliche Absicht war die Einführung eines
Pflicht-Audit. Deshalb ist die Freiwilligkeit nichts anderes als ein weicher
Einstieg. Sie ist ein taktischer Kompromiß.
Zweitens wird man spätestens dann auf das Pflicht-Audit zurückkommen,
wenn offenkundig wird, daß das System an klare Wirkungsgrenzen stößt.
Wo diese liegen, hat die Kommission bereits gesagt: "Das vorgeschlagene
System wendet sich unmittelbar an motivierte Unternehmen, um deren Umweltleistung
zu verbessern." Motivierte Unternehmen sind solche, die sich Extragewinne
(auch Imagegewinne) versprechen. Doch das sind gerade jene Unternehmen,
welche die Verordnung am wenigsten brauchen. Sie können diesen Vorteil
im Zweifel auch ohne die Brüsseler Verordnung realisieren. Deshalb
ist der umweltpolitische Zusatznutzen im Vergleich zu den Initiativen der
Wirtschaft bescheiden und deshalb wird die Freiwilligkeit
sukzessive aufgehoben werden, um die Zahl der Teilnehmer am System
zu erhöhen.
Drittens wird schon nach dem vorliegenden Konzept ein EG-weiter bürokratischer
Rahmen entwickelt, der gerechtfertigt werden muß und der seine eigene
Dynamik entfaltet. Besondere Einsichten in die Logik bürokratischer
Strukturen sind für diese These nicht notwendig. Aber auch enorme
wirtschaftliche Interessen, die bereits jetzt mit dem Öko-Audit verbunden
sind, werden auf ein Pflicht-Audit zur Stabilisierung und Erweiterung eines
unter Umständen lukrativen Marktes drängen.
Alles, was heute noch unter dem Aspekt der Freiwilligkeit hinnehmbar
scheint, wird deshalb früher oder später beim Pflicht-Audit in
voller Schärfe hervortreten. Das gilt besonders für das Problem
der Wettbewerbsverzerrung, das wegen der unterschiedlichen umweltpolitischen
Anforderungen innerhalb der Gemeinschaft noch deutlicher als bisher schon
zutage treten wird. Dazu gehört auch das Problem der Diskriminierung
von Nicht-EG-Standorten.
Bewertung von Umweltleistungen
Ein weiterer Punkt, der ins ordnungspolitische Abseits führt, betrifft
die Festlegung der Kriterien, von deren Erfüllung die Verleihung des
Umweltzeichens abhängig ist. In diesem Punkt ist der Entwurf immer
noch eine black box. Das wäre für sich schon ein Grund, die Zustimmung
zur Verordnung zu verweigern. Vor einer Beschlußfassung müßten
die materiellen Anforderungen an das Audit auf den Tisch. Und diese Anforderungen
müßten justitiabel sein. Das ist die rechtsstaatliche Mindestforderung.
Aber wie könnte sie aussehen?
Will man willkürliche Bewertungen von Umweltleistungen vermeiden,
so sind detaillierte Festlegungen in bezug auf Management, Organisation,
Technik- und Umweltanforderungen notwendig. Letztlich sind Maßstäbe
in einer tiefen branchenspezifischen Differenzierung erforderlich. Das
heißt, es geht um die Definition spezifischer idealtypischer Referenzunternehmen
bzw. Produktionsstandorte. Das liegt in der Logik dieser Verordnung, ganz
unabhängig davon, wie es um die Freiwilligkeit bestellt ist.
Auch wenn justitiable Kriterien angesichts der Komplexität der
ökonomischen Realität seriös nicht zu entwickeln sind, braucht
man keinen Zweifel daran zu haben, daß es gelingen wird, dieses Problem
irgendwie zu lösen. Letztlich werden durch Handzeichen und Zuruf in
der Arbeitsgruppe des Rates oder in einem anderen Gremium die Kriterien
Punkt für Punkt abgehakt werden, um am Ende zu beschließen,
wie sich ein Unternehmen an einem Produktionsstandort zu verhalten hat,
damit es sich mit dem Umweltzeichen schmücken kann.
Über den Unterschied zwischen solchen Vorgaben und dem Produktionssoll
in Zentralverwaltungswirtschaften sollte in Brüssel und anderswo einmal
gründlich nachgedacht werden. Dabei sollte man besonders darauf achten,
wie solche Vorgaben in die marktwirtschaftliche Landschaft passen und ob
man damit nicht gerade jene unternehmerische Phantasie abtötet, die
für die Entdeckung nachhaltiger Formen des Wirtschaftens so dringend
benötigt wird.
Schlußbemerkung
Wie eingangs festgestellt, steht die Bundesregierung der Durchführung
von Öko-Audits positiv gegenüber. Strittig zwischen verschiedenen
Ressorts war "nur" die Frage, ob es dazu auch unter Beachtung des Subsidaritätsprinzips
einer Verordnung bedarf. Die EG übersieht, daß eine Verordnung
ökologisch und ökonomisch äußerst kontraproduktiv
ist. Die beschlossene Verordnung beruht nicht auf einer sauberen ökonomischen
Analyse der Bedingungen für Öko-Audits und paßt nicht in
das marktwirtschaftliche Ordnungskonzept.
Eine solche Analyse würde unmißverständlich zu dem Ergebnis
kommen, daß zuerst und als notwendige Bedingung andere relative Preise
notwendig sind. Auf der Basis der herrschenden Preisstrukturen sind ökologische
Anpassungsprozesse nur durch Ordnungsrecht und damit unter Verzicht auf
ordnungspolitische Essentials möglich. Einen Anhaltspunkt für
das Ausmaß der notwendigen Preisänderungen bietet das für
den Wirtschaftsminister erstellte Gutachten der Prognos AG über die
Internalisierung externer Kosten. Die Schlüsselgrößen des
Wirtschaftsprozesses, die Preise für Energie und Rohstoffe, also die
der Inputseite, müssen ebenso geändert werden wie die Preise
für die Herausnahme von Stoffen aus dem Kreislauf, also z.B.
die Deponiepreise.
Wenn das gelingt, wenn die Wirtschaft eine verläßliche Perspektive
für die mittel- und langfristige Entwicklung dieser Preise erhält,
dann werden Öko-Audits zum Renner der Beratungsbranche. Dann und nur
dann stehen die ökonomischen Interessen im Einklang mit den ökologischen
Zielen und im Dienste einer nachhaltigen Entwicklung.