Die monetären Schranken umweltpolitischen
Handelns
Restriktionen falsch gesetzt
von
Gerhard Maier-Rigaud, Bonn
(Ökologisches Wirtschaften, 1998 Ausgabe 3-4,
S. 29-30)
Umweltpolitik steht immer noch im Verdacht, das Wirtschaftswachstum
zu begrenzen. Insbesondere Umweltzertifikate oder Lizenzen gelten
als Instrumente zur ökologischen Deckelung des Wachstums.
Tatsächlich aber erfolgt dies durch die monetaristische Geldmengenpolitik.
Die "Wachstumslizenzen" der Zentralbank halten die Volkswirtschaft
einer Situation der Unterbeschäftigung, bei der wirksame
Schritte in Richtung Nachhaltigkeit politisch keine Chance haben.
Eine fundamentale Änderung der geldpolitischen Strategie
ist eine notwendige Bedingung für den ökologischen Strukturwandel.
Die Ökonomie als Wissenschaft steht jedweden Grenzen des Wachstum
skeptisch gegenüber. Immerhin waren es Ökonomen, die spätestens
seit dem 18. Jahrhundert und damit lange vor Darwin den Gedanken der Entwicklung
geistesgeschichtlich eingeführt haben. Die Evolution wurde durch den
Einfluß der Ökonomie allgemein zum Paradigma der Wissenschaften.
Und schließlich hat die industrielle Revolution den eindrucksvollen
empirischen Beleg für wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten
geliefert.
Im Theoriegebäude der Ökonomie kommen Grenzen nicht vor. Gegenstand
dieser Disziplin sind relative Knappheiten und dementsprechend relative
Preise. Auf lange Sicht ist alles substituierbar: Arbeit, Kapital und natürliche
Ressourcen. Abnehmende Grenzerträge und Grenznutzen gibt es nur für
einzelne Faktoren und Güter. Und somit gibt es auch keine Sättigung
der Bedürfnisse im ganzen. Wachstumsverzicht kann deshalb nicht die
Botschaft einer Ökonomie sein, die (auch ökologische) Knappheiten
und deren Überwindung zum Gegenstand hat.
Die Umsetzung der von den ökologischen Systemen unabweisbar gezogenen
Begrenzungen einzelner Aktivitäten in wirtschaftlich wirksame ökologische
Schranken haben nichts zu tun mit Grenzen des Wachstums oder gar mit einer
Begrenzung von wirtschaftlicher Freiheit und Wohlstand. Die Limitierung
der Inanspruchnahme von natürlichen Produktionsfaktoren bedeutet keineswegs,
dem System Wirtschaft den Atem zu nehmen. Denn jede Mengenbeschränkung
wird in der Wirtschaft übersetzt in Änderungen relativer Preise
und generiert somit einen Substitutionsprozeß. Schließlich
ist es das ganz normale Geschäft der Wirtschaft, auf Änderungen
relativer Preise mit im Wettbewerb herauszufindenden intelligenten Anpassungen
zu antworten. Da spielt es keine Rolle, ob diese Änderungen die Folge
demokratisch legitimierter politischer Setzungen, technologischer Entwicklungen
oder individueller Präferenzänderungen sind. Solange der homo
oeconomicus gegebene Ziele mit geringerem Aufwand oder mit gegebenen Ressourcen
weitergesteckte Ziele anstrebt und erreicht, muß es für das
sozio-ökonomische System keine "realen" Wachstumsgrenzen geben.
Wem das gerade unter ökologischen Gesichtspunkten eher perspektivlos
scheint, der sollte sich klar machen, daß der Weg in Richtung Nachhaltigkeit
nichts anderes ist als Wachstum hinein in andere ökonomische Strukturen
getrieben von anderen relativen Preisen. Einer solchen wirtschaftlichen
Entwicklung sind keine Grenzen gesetzt.
Geldpolitische Deckelung des ökologischen Strukturwandels
Wohl aber gibt es unabhängig von Zielen und Inhalten des Wirtschaftens
monetäre Grenzen des Wachstums. Eine arbeitsteilige Geldwirtschaft
kann nur wachsen, sei es in Richtung Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen oder in Richtung Nachhaltigkeit, wenn die Geldpolitik
die dafür unerläßlichen Bedingungen schafft. Hinsichtlich
dieser Bedingungen nimmt die herrschende Lehre eine dogmengeschichtlich
eher bescheidene Position ein. Die Rolle des Geldes wird reduziert auf
die von Rechenpfennigen. Geld ist in bezug auf die reale Entwicklung neutral.
Geldpolitik hat daher nur die Aufgabe, die zum Güterangebot passende
Geldmenge zur Verfügung zu stellen. Eine höhere Geldmenge führt
in der Logik dieser Theorie nur zur Finanzierung inflationärer Prozesse.
Konträr dazu ist beispielsweise bei Schumpeter Geld die treibende
Kraft der Entwicklung, d.h. des Prozesses der "schöpferischen Zerstörung".
Danach kann die Wirtschaft nur durch exogen bereitgestelltes zusätzliches
Geld wachsen. Nur durch niedrige Realzinsen kann sie Wachstumsraten realisieren,
die über den Produktivitätsfortschritt hinausgehen und die Arbeitslosigkeit
abbauen (1). Angebotspolitik im Schumpeterschen Sinne heißt Angebot
von fresh money, heißt Vorfinanzierung eines von Investitionen getragenen
Aufschwungs durch die Zentralbank und damit auch Vorfinanzierung eines
strukturellen Wandels in Richtung Nachhaltigkeit.
Eine potentialorientierte Geldpolitik, wie sie die Bundesbank seit 1974
betreibt und nachdrücklich der Europäischen Zentralbank empfiehlt,
verhindert dies (2). Sie deckelt die Investitionsdynamik. Der Maßstab
für die Geldversorgung ist die Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen
Produktionspotentials berechnet auf der Basis des Wachstumstrends der Vergangenheit,
der in die Massenarbeitslosigkeit geführt hat. Und für die beiden
letzten Jahre ihrer Herrschaft über die nationale Geldversorgung (1997
und 1998) nimmt die Bundesbank dabei nur noch ein Potentialwachstum von
durchschnittlich zwei Prozent an (3).
Doch was hier bescheiden als Annahme deklariert wird, ist in Wahrheit
eine Vorgabe für das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Wenn daher das
Potentialwachstum wegen einer schwachen Investitionstätigkeit immer
weiter herabgesetzt wird, dann muß sich das auch in den tatsächlichen
Wachstumsraten niederschlagen. Eine höhere Wachstumsrate ist wegen
der Finanzierungsschranke ausgeschlossen. Möglich sind aber konjunkturelle
Einbrüche mit der Folge weiterer Absenkungen des Potentialtrends der
Geldversorgung. So kommt es, daß der Sockel an Arbeitslosigkeit zu
Beginn jeder Aufschwungsphase höher ist als bei der vorhergehenden.
Falls sich diese Geldmengenorientierung für "Euroland" insgesamt
durchsetzt (4) und ein Potentialwachstum in der Größenordnung
von zwei bis zweieinhalb Prozent von der Europäischen Zentralbank
unterstellt wird, dann gibt es bis auf weiteres in Europa nur ein wirtschaftliches
Wachstum, das bestenfalls im Rahmen der Produktivitätsentwicklung
liegt. Ein solches Wachstum aber reicht nicht aus, um die Massenarbeitslosigkeit
zu überwinden. Daran kann keine rigorose Angebotspolitik, keine permanente
Lohnsenkung mit deflationären Risiken, keine (auch ökologische)
Steuerreform und kein staatliches Ausgabenprogramm etwas ändern.
Wenn daher der Begriff "Grenzen des Wachstums" einen Sinn macht, dann
in bezug auf die von der potentialorientierten Geldmengenpolitik gezogene
gesamtwirtschaftliche Finanzierungsschranke. Die Wirtschaft kann darauf
nur mit Anpassungen bei den Investitionen reagieren, die auf noch niedrigere
Wachstumsraten sowie noch bescheidenere Potentialtrends hinauslaufen und
damit die Massenarbeitslosigkeit weiter verschärfen. Im Vergleich
zu Umweltlizenzen/ -zertifikaten bedeuten die monetären Lizenzen eine
umfassende Deckelung der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten. Substitutionsprozesse,
wie sie von Umweltzertifikaten und Umweltsteuern intendiert sind, kann
es bei den Wachstumslizenzen der Zentralbank nicht geben.
So sehr die interessengeleitete Polemik gegen umweltpolitische Mengenschranken
in Form von Lizenzen und Zertifikaten zurückgewiesen werden muß
und Anspielungen auf Bezugsscheine und ökologische Zentralverwaltungswirtschaft
in diesem Zusammenhang von Ignoranz beherrscht sein mögen, hier, bei
der Geldpolitik, treffen sie allesamt auf das richtige Politikfeld. Die
Volkswirte der "Zentralen Planungsbehörde" definieren das reale gesamtwirtschaftliche
Plansoll, das Produktionspotential oder in der DDR-Terminologie, die Aufkommensbilanz.
Und die Zentralbank stellt die dafür notwendige Geldversorgung bereit.
Nach diesem Muster wird in Deutschland unter dem Beifall von Räten
und Beiräten seit 25 Jahren Geldpolitik betrieben. Diese Politik war
so erfolgreich, daß inzwischen bei sinkenden Lohnstückkosten
selbst die Zielinflationsrate der Bundesbank unterschritten wird und ein
Abgleiten in die Deflation nicht mehr völlig auszuschließen
ist. Dabei ist die Idee, die zukünftige Dynamik des entwicklungsoffenen
komplexen Systems Marktwirtschaft in Potentialrechnungen abschätzen
zu können, nichts anderes als "Anmaßung von Wissen" (Hayek).
Hinzu kommt der tautologische Charakter solcher Rechnungen. Sie können
empirisch nicht falsifiziert werden, weil sie über die Geldpolitik
ihre Ergebnisse selbst herbeiführen.
Falscher ordnungspolitischer Imperativ
Die Hinnahme der ordnungspolitischen Schieflage und der erkenntnislogischen
Problematik der herrschenden Geldpolitik durch die Marktwirtschaftler steht
in einem erstaunlichen Verhältnis zur ordnungspolitischen Sensibilität,
mit der umweltpolitischen Vorstellungen begegnet wird. Das gilt besonders
im Hinblick auf die Entwicklung von Leitbildern für Nachhaltigkeit.
Hier ist die ordnungspolitische Dimension allgegenwärtig und es gilt
der Anfangsverdacht eines latenten Abrutschens in Formen ökologischer
Planwirtschaft. Doch ist die Gefahr von dieser Seite nicht das, was Ordnungspolitiker
besonders umtreiben müßte.
Tatsächlich hat zwar die offizielle Umweltpolitik längst in
einen fatalen ordnungspolitischen Dualismus hineingeführt. Danach
gelten für private Güter die marktwirtschaftlichen Allokationsprinzipien
und für das öffentliche Gut Umwelt das Prinzip des command and
control. Für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen "leisten"
wir uns ineffiziente Spielarten einer ökologischen Zentralverwaltungswirtschaft,
während für private Güter effiziente Märkte eingesetzt
werden.
Es scheint heute jedoch Konsens darüber zu herrschen, daß
die Leitbilder für Nachhaltigkeit als "regulative Idee" für den
die Zukunft gestaltenden gesellschaftlichen Suchprozeß und keinesfalls
als politische Handlungsanweisungen aufzufassen sind.
Wäre es anders, was für eine Lawine von Schmähungen würde
losgetreten werden, wenn etwa das "Nachhaltigkeitspotential" Jahr für
Jahr von einigen Ökologen berechnet und via Umweltlizenzen gesteuert
werden würde? Doch wenn die Zentralbank über die Emission von
Geld, also über Lizenzen, die Investitionen kappt und den Beschäftigungszuwachs
auf Null stellt, dann geschieht dies unter dem Beifall fast der gesamten
Ökonomenszene.
Die monetäre Bremse an der europäischen Jobmaschine ist zugleich
die Bremse für umweltpolitische Fortschritte. Ohne eine Perspektive
für mehr Beschäftigung bleiben die Handlungsspielräume der
Umweltpolitik extrem bescheiden. Und das gilt vermutlich für jede
Regierung. Alle Regierungen stehen bei den heute noch vorherrschenden wirtschaftstheoretischen
Mustern und der Massenarbeitslosigkeit unter dem Druck, die Privatökonomie
auf vielfältige Weise zu entlasten. Die Umweltpolitik hat in diesem
Spiel schlechte bzw. keine Karten. Umweltschutz ist nicht kostenlos zu
haben, und zwar auch dann nicht, wenn das Aufkommen etwa aus Ökosteuern
zur Entlastung an anderer Stelle eingesetzt wird. Deshalb müssen Umweltökonomen
und Umweltpolitiker ein herausragendes Interesse am Lösen der monetären
Bremse haben. Sie müssen sich auseinandersetzen mit der geldpolitischen
Strategie der Europäischen Zentralbank, denn die monetären Grenzen
des Wachstums bestimmen zugleich die politischen Grenzen ökologischer
Möglichkeiten.
Anmerkungen:
(1) Vgl. Carl-Ludwig Holtfrerich, Gerhard Maier-Rigaud: Die monetäre
Bremse an der europäischen Jobmaschine, Handelsblatt vom 4.6.1998
(2) Vgl. zur potentialorientierten Geldpolitik meine beiden Aufsätze:
Die Fiktion vom Produktionspotential, Wirtschaftsdienst, 1982/VII, S. 357-360
und
Der Zins, das Potential und der Aufschwung. Zur geldpolitischen Konzeption
des Sachverständigenrates, Wirtschaftsdienst, 1983/I S. 45-50
(3) Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1998, Überprüfung
der Geldmengenorientierung 1997/1998 und Konkretisierung des Geldmengenzieles
für 1998, S. 19
(4) Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1998, Geldpolitische Strategien
in den Ländern der Europäischen Union, S. 33-47